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Der ‚Verbraucher‘

Alltäglicher Skandal: Nicht allein BSE bringt die Tiermast in Verruf – der deutsche Wunsch nach dem täglichen Schnitzel ließ eine Schlachtindustrie entstehen, die kaum zu kontrollieren ist.

Kaum hat sich der erste Schock über den neuesten Fleischskandal gelegt, versuchen die Werbestrategen der Supermarktketten bei den deutschen Essern wieder die fleischlichen Urinstinkte zu wecken: Werbefotos von zartrosa, scheinbar makellosen Filetstücke sollen dem verängstigten Konsumenten das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen. Trotz Rinderwahnsinns muss der Verbraucher keinen Mangel leiden: das Rinderfilet auf dem Farbfoto stamme aus heimischen Mästereien und seine Verarbeitung werde kontrolliert, versichert der Werbetext. Jedoch nicht jeder Fleischesser lässt sich so leicht beruhigen. Viele haben das Vertrauen in die Qualität des Rindersteaks endgültig verloren (Stand dieser naiven Aussage: kurz nach Bekannt werden des ersten BSE Falles in Deutschland 2001. Seit 2003 ist der pro-Kopf-Rindfleischverbrauch wieder wie vor BSE – obwohl auch jetzt noch jeden Monat weitere BSE-Fälle gemeldet werden. ©®). Mit 99%tiger Wahrscheinlichkeit besteht ein Zusammenhang zwischen Rinderwahnsinn und der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit.
Was die Rinder krank macht, kann also auch die Menschen treffen. Die Verbraucher sind alarmiert? Aber nein! Der Rinderwahnsinn und seine möglichen Folgen sind gewiss eines der schauerlichsten Beispiele für den fahrlässigen Umgang mit Fleisch. Und doch mussten sich die Europäer daran gewöhnen, von Zeit zu Zeit durch Fleischskandale aufgeschreckt zu werden – man gewöhnt sich daran. Besonders in Deutschland reagieren dann die Verbraucher mit Boykott, meiden mal Huhn, mal Schwein, kaufen dann für eine Zeit nicht mehr im Supermarkt, obwohl der so praktisch um die Ecke liegt. Aber Fleisch muss immer auf den Tisch. Egal, ob der Metzger des Vertrauens mal wieder das abgelaufene Hackfleisch umetikettiert hat oder Schlachtabfälle aufgetischt werden.

Kurzfristig werden die Ökoläden dann von neuen Gesundheitsbewussten überschwemmt – für kurze Zeit.Aber auch ohne Skandal ist die einwandfreie Qualität des Fleisches nicht garantiert. Denn die meisten „Schweinereien“ gehören fast schon zur Tiermast dazu. Etwa der illegale Einsatz von Medikamenten: Seit 1988 ist die Hormonmast in Deutschland zwar verboten, trotzdem kommt sie immer wieder in die Schlagzeilen. Denn die Kälber werden durch die Behandlung mit Wachstumshormonen schneller groß und stehen bis zur Schlachtreife kürzer im Stall. Die Mäster können ihre Produktion so um 30 Prozent steigern. Ein anderes Beispiel: der Antibiotikaeinsatz und Antibiotikaresistenz. In der heute üblichen Massentierhaltung erkranken die Tiere leicht an Durchfall oder Erkältung, stecken zudem noch den Nachbarn an. Der Veterinär spritzt deswegen oft schon vorsorglich Antibiotika. Zwar darf der Schlachter das Tier dann erst nach einer bestimmten Wartezeit verarbeiten, um die Rückstände der Medikamente im Fleisch möglichst gering zu halten. Doch ist es in der Praxis schwer zu überprüfen, ob die Bauern die Fristen eingehalten oder gar vorbeugend Antibiotika ins Futter gemischt haben. Wer den Stall unbedingt schnell für die neue Mast frei haben will, findet leicht Wege, die Vorschriften zu umgehen.Auch die Bilder von Tiertransporten liegen vielen Menschen schwer im Magen. Kälber oder Schweine werden zusammengepfercht in Lastwagen oft über Tausende von Kilometern zu den Schlachthöfen transportiert. „Verluste“ nehmen die Transporteure dabei bewusst in Kauf. Der Verbraucher will aber davon nichts wissen. Das Ganze ist nur zum Teil auf die Profitgier einiger zurückzuführen. Einen großen Anteil daran haben die Fleisch essenden Verbraucher. Denn erst mit dem Wunsch nach dem täglichen Schnitzel begann die Industrialisierung der Tiermast.

Fleisch sollte billig sein, musste möglichst kostengünstig produziert werden. Kleinbauern mit maximal zehn Kühen wichen technisierten Großbetrieben. Das Schlachtvieh steht dort dicht zusammengedrängt und mit schmerzenden Beinen auf Gitterrosten, damit Fäkalien und Futterreste schnell abfließen können. Nicht zuletzt durch Berichte über die Praktiken in der Fleischproduktion, die nichts mehr mit der Vorstellung vom idyllischen Leben auf dem Bauernhof gemein haben, ging der Fleischverzehr seit Ende der achtziger Jahre leicht zurück. Doch gehört das „Stück Lebenskraft“ (die CMA hat 2001 über 80 Millionen Euro dafür ausgegeben, um diesen hirnverbrannten Slogan in die Köpfe Ihrer Verbraucher einzuhämmern – erfolgreich, auf jeden Fall bei BILD Lesern), ob gekocht, gebraten oder gegrillt, in Deutschland wie in anderen westlichen Industrienationen immer noch zum täglich Brot. Die Bundesbürger verzehrten im vergangenen Jahr rund 62 Kilogramm Fleisch pro Kopf. Immerhin acht Kilogramm weniger als noch 1988.

Dagegen war in den Zeiten, in denen unsere Vorfahren noch als Jäger und Sammler durch die Wildnis zogen, tierisches Protein auf dem Speisezettel eher die Ausnahme. Geriet etwa einem Urmensch ein Wildschwein unter die Keule, musste es für die ganze Sippe reichen. Die nächste Haxe konnte lange auf sich warten lassen.

Fleisch war noch bis in die späten sechziger Jahre Mangelware und damit teuer. Die Masse der Bevölkerung leistete sich höchstens sonntags eine Fleischscheibe. Erst in den siebziger Jahren häuften sich die Fleischberge. Der Braten auf dem Mittagstisch begann zum Alltag zu gehören. Und wenn die Herren des FC Hinterwald nach dem Training ins Clubheim einfielen, war das 250-Gramm-Steak so angesagt wie lange Koteletten.

In den achtziger Jahren kam dann der Gesinnungswandel: Die Müslidiskussion hinterließ auch beim Normalverbraucher Spuren, der Trend ging zur gesunden Ernährung mit viel Gemüse, Obst, Getreide. Dunkles Fleisch von Rind und Schwein ersetzte der gesundheitsbewusste Konsument immer häufiger durch helles von Geflügel oder Fisch. Doch auch der Verzehr von Seezunge und Huhn ist nicht unbedingt ökologisch korrekt. Die Überfischung der Meere und der Einsatz von Treibnetzen verderben vielen den Appetit. Außerdem gibt es da noch die Nordseekrabben, die erst per Lastwagen nach Marokko gehen, wo sie von flinken Frauenhänden billig gepult werden, damit sie dann deutsche Gourmets nicht mehr aus der Schale pellen müssen. Und Geflügel? Jedes Kind weiß, dass der beim Auftauen des Tiefkühlgockels entstehende „Hähnchensaft“ meist keimgeladen ist und auf keinen Fall den parallel angerichteten Salat beträufeln darf. Nur durchgekocht oder gebraten ist das Hühnchen ungefährlich. Doch die beste Hygiene in der Küche nützt nichts, wenn das Fleisch zuvor nicht hygienisch und verantwortungsbewusst behandelt wurde.

Das zeigt auch der Skandal um abgepacktes Fleisch in den Kühlregalen der Supermärkte. Verbraucherzentralen entdeckten in Einkaufsketten quer durch Deutschland verlängerte Ablaufdaten und bereits fauliges Fleisch, das stark gewürzt als pikante Grillfilets angeboten wurde. Aber auch im Schlachthof oder beim Transport haben Keime leichtes Spiel, wenn die Kontrollen versagen. Eine lückenlose Überwachung ist aber unmöglich, die Fleischbeschauer können lediglich Stichproben analysieren.

Fleischkauf ist Vertrauenssache. Das fängt beim Mäster an und endet beim Personal hinter der Fleischtheke. Dazwischen liegen Transporte, Zerlegung und Verarbeitung, Lagerung und Kühlung. Wann immer es die Verantwortlichen an Sorgfalt vermissen lassen oder Profitgier das Handeln bestimmt, wird minderwertige oder auch gesundheitsgefährdende Ware den Markt erreichen. Verschärfte Kontrollen und härtere Strafen für die Übeltäter vermögen da wenig zu ändern. Denn entscheidend ist das Verhalten des Verbrauchers: Solange die Kunden nicht bereit sind, auf die Qualität zu achten und ein paar Mark mehr für Rippchen und Steaks hinzulegen, werden sie mit der Unsicherheit leben müssen. Und wohl immer neue Fleischskandale werden für Furore sorgen. Aber auch daran hat sich der Verbraucher bereits gewöhnt…

Deutschland

*Fleischkonsum in Kilogramm, per Person und Jahr

Jahr Schwein Rind Gefluegel Schaf/Ziege
1998 40,4 10,4 9,1 0,8
1999 41,0 10,4 9,1 0,8
2000 39,1 9,6 9,5 0,8
2001 38,7 7,0 11,0 0,8
2002 37,8 8,7 10,6 0,8

Quelle: ZMP (Agra-Europe 11 / 03: 17.3.2003)