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Neues Fleisch – Novel Protein Food (NPF)

Holland in Not. Das modernste Agrarland Europas hat mehr Kühe und Schweine als Einwohner – und damit ein Problem: Das Land droht in Gülle zu versinken. Holländische Forscher entwickeln daher künstliche Lebensmittel, die den Fleischkonsum und damit den Viehbestand reduzieren könnten. Die neuartige Eiweiße sollen fischloses Sushi ebenso ermöglichen wie fleischlose Schnitzel. Form, Farbe und Geschmack – alles wird nur noch eine Frage des Designs.

In den Niederlanden verbraucht jeder der mehr als 15 Mio. Einwohner pro Jahr im Schnitt zehn Tiere – für den Bedarf an Fleisch, Eier und Milch. Die Folge ist ein enormer Viehbestand. 4,7 Mio. Kühe und 13 Mio. Schweine tummeln sich auf Hollands Wiesen. Doch der Flächenverbrauch ist noch nicht mal das größte Problem. Es ist der Mist, den die Tiere produzieren, rund 94 Mio. Tonnen jährlich. Diese Masse an Mist kann der Boden nicht aufnehmen. Gülle sickert ins Oberflächen- und Grundwasser und beeinträchtigt so die Qualität der niederländischen Trinkwasserversorgung. Mist gilt zudem in den Niederlanden als bedeutender Luftverschmutzer. Ein Teil der Nitrate aus dem Mist gelangen in Form von Ammoniak in die Luft und führen somit zu Saurem Regen.

Um zu verhindern, dass Holland in Gülle versinkt und um die Umweltbelastungen zu reduzieren, hat die Regierung in Den Haag vorgegeben, dass in den nächsten dreissig Jahren 35 Prozent des Eiweißes in der Nahrung pflanzlichen Ursprungs sein sollen. Das aber lässt sich nur erreichen, wenn zwei-, dreimal die Woche Fleisch vom Speiseplan gestrichen und durch anderes ersetzt wird.

Zwar gibt es schon heute in den Niederlanden ein reichhaltiges Angebot an vegetarischen Produkten. Jeder Supermarkt führt sie. Das hat auch dazu geführt, dass vegetarische Nahrungsmittel aus der Öko-Nische herausgetreten sind und mittlerweile jeder vierte Niederländer regelmäßig mehrmals die Woche auf Fleisch verzichtet und durch Alternativen ersetzt. Und es gibt dafür sogar schon ein Wort, nämlich das des „Teilzeit-Vegetariers“. Doch noch unterscheidet sich der vegetarische Fleischersatz vor allem im Biß vom echten Schnitzel. Eine Steigerung des Fleischverzichts scheint kaum möglich.

Abhilfe soll jetzt eine vollkommen neue Nahrungsmittel-Generation schaffen, sogenanntes „Novel Protein Food“ (NPF). Es soll schon bald die Welt erobern wie einst die Holland-Tomate – als fleischlose Schnitzel oder Sushi-Häppchen ohne Fisch, fettarm und cholesterinfrei, gesundheitsfördernd und umweltschonend. Das Geheimnis dieser Produkte: ein geschmacksneutraler Eiweißstoff, der im Bioreaktor aus Schimmelpilzen gewonnen wird – ganz ohne Gentechnik. Bei seiner Entwicklung haben holländische Wissenschaftler und Lebensmittelindustrie Hand in Hand gearbeitet: Entwickelt im Agrartechnologischen Institut (ATO) in Wageningen soll NPF beim Fleischhersteller Boekos in Cuijk produziert werden.

Bei Boekos hatte man schon vor Jahren erkannt: Die fetten Jahre für Schweine- und Rindfleischprodukte sind vorbei, heimisches Frikassee und traditionelle Würstchen out. Stattdessen steigt unter dem Einfluss der Globalisierung der Bedarf an neuen vegetarischen Produkten. Im Trend liegen zurzeit indonesische Sate-Spieße, mexikanische Tacos, Burger aus Champignons und Koteletts aus Gemüse. Gestylt als Mikrowellenmenüs für den modernen Menschen von heute, der statt drei geregelter Mahlzeiten viele kleine Snacks bevorzugt.

„Novel Proteins“ ermöglichen eine Art Kunstfleisch mit einer veränderbaren Struktur zwischen Brei und faserig – alles ist drin. Erst Lebensmitteldesigner geben dem NPF Farbe und Form, Größe und Geschmack, je nachdem, ob die Häppchen zum Frühstück geeignet sein sollen, als warme Hauptmahlzeit oder als Party-Snack. Bei Bedarf ist es vom tierischen Original kaum zu unterscheiden. Dennoch sollen die „Novel Proteins“ nicht das saftige Bio-Steak ersetzen. Sie könnten jedoch vor allem die fleischlichen Eiweiße in unzähligen Fertigprodukten verdrängen, in Pizzen, Pasteten und Burgern, die ihren Geschmack ohnehin chemischen Zusätzen verdanken.

Derzeit wird in Testreihen untersucht, wie die Produkte beim Verbraucher ankommen könnten. Und ob sie möglicherweise Allergien auslösen. Die Zulassung der „Novel Proteins“ haben die Holländer jedenfalls bei der EU beantragt. Schon im Sommer 2002 rechnet man bei Boekos mit der EU-Zulassung. Dann sollen die „Novel Proteins“ in nur wenigen Jahren das westliche Lebensmittelangebot vollkommen verändern.

Autor: Thomas Kamp
Aus ARD-Globus

Weitere Infos unter:
www.profetas.nl
(Infos zum übergreifenden niederl. Forschungsvorhaben „Protein Foods, Environment, Technology And Society“, u.a. hinsichtlich einer gesteigerten Nachhaltigkeit bei der Nahrungsmittelproduktion)

www.ato.wageningen-ur.nl
(Das Institut, das maßgeblich an der NPF-Entwicklung beteiligt ist)

www.planetgreen.nl
(Webpage zu vegetarischen Produkten; Planetgreen ist eine Marke der Boekos Food Group B.V.)

www.boekos.nl
(Informationen zum Fleischhersteller Boekos und seinen Produkten inkl. einigen Infos zu NPF)